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ARTE und die EtruskerKritik der Dokumentation vom 15. Juni 20022. Teil: VerfälschungenDas Rätselhafteste an den Etruskern ist zweifellos die Frage, warum jedermann mit ihnen verwandt sein will. Zahlreich sind die Versuche, diese oder jene Sprache mit dem Etruskischen zu verbinden, und wo immer eine archäologische Grabung etruskische Gefäße oder Schmuckstücke zutage fördert, läßt die Folgerung "Das beweist eine Präsenz der Etrusker" nicht lange auf sich warten. Im Film wird dieser Standpunkt z.B. von G. Colonna demonstriert: "Wir verfügen über eine zeitlich lückenlose Reihe von Zeugnissen, Produkte ihres Kunsthandwerks, die ihre Präsenz in Sizilien, Karthago und Gallien belegen." Es muss daher nochmals betont werden: das Auftauchen etruskischer Handelsware an welchem Ort auch immer kann kein Beweis für etruskische Präsenz an diesem Ort sein Die Möglichkeiten des Zwischenhandels zu leugnen, ist eines der Hauptanliegen der ARTE-Dokumentation. So steht etwa am Anfang des Films die Behauptung: "7. Jh.v.Chr.: Ägypten, Kleinasien und Griechenland üben ihren Einfluss im östlichen Mittelmeerraum aus. Im Westen leben nur einzelne kleinere Völker, die noch keine Städte bauen und sich auf einer archaischen Kulturstufe befinden." ("Kleinasien" scheint ein diskreter Bei den folgenden Richtigstellungen handelt es sich nicht um Spezialwissen, sondern um Selbstverständlichkeiten, die in jedem besseren Geschichtsbuch nachgelesen werden können. Vgl. dazu etwa: Oswyn Murray, Das frühe Griechenland (dtv), oder den Artikel "PHÖNIZIER, Punier" in Der Neue Pauly. Spätestens im 7. Jh.v.Chr. entwickelte sich das Mittelmeer von den Säulen des Herkules bis zu den Dardanellen (die unattraktiven Adriaküsten ausgenommen) zu einem weitgehend erschlossenen Handelsraum. Es war das große Zeitalter der griechischen Kolonisations-Bewegung (ca. 740 bis ca. 580 v.Chr.), die ein Heer von griechischen Kolonien und Handelsstützpunkten von der Krim bis zum Südwestrand der Pyrenäen schuf. Und diese Bewegung beschränkte sich keineswegs auf das östliche Mittelmeer: bereits um 770 v.Chr. entstand der erste griechische Stützpunkt auf Ischia (Pithekussai), der wenig später als Kyme (Cumae) aufs Festland verlegt wurde; 734, 733 und 730 v.Chr. folgten Naxos, Syrakus und Zankle (= Messina) auf Sizilien. In den Jahren zwischen 730 und 700 v.Chr. entstanden auf dem (süditalienischen) Festland die Kolonialstädte Sybaris, Kroton und Taras (= Tarent, Spartas einzige Koloniegründung), 630 Kyrene an der libyschen Küste. Diese Liste ließe sich um zahlreiche westmittelmeerische Küsten-Städte erweitern bis herab zur etwa gleichzeitigen (phokäischen) Gründung von Emporion (= Ampurias) und Massalia (= Marseille) um 600 v.Chr. Wenn die griechischen Kolonisten nicht noch weiter nach Westen vordrangen, liegt das wohl vor allem daran, dass sie dort auf den Widerstand der Phönizier stießen. Ende des 9. Jh.v.Chr. (814) war an der afrikanischen Küste die Stadt Karthago entstanden, als (zunehmend selbständige) Kolonie des phönizischen Tyros. Im achten Jahrhundert wurde Es war also gar nicht nötig, dass die "einzelne(n) kleinere(n) Völker" im Westen Was die Etrusker betrifft, so tauchen sie in diesem Szenario erst auf, als der Kuchen bereits verteilt ist und sich zwischen Griechen und Griechen einerseits (denn Griechenland handelte bei der Kolonialisierung ja nicht als geschlossene Einheit, sondern als eine Ansammlung konkurrierender Stadtstaaten!) und Griechen und Phöniziern andererseits Rivalitäten bezüglich der besten Stücke abzeichnen. Das mag wohl auch der Grund dafür sein, dass die Etrusker als die "berüchtigsten Piraten der Antike" (Murray, S.95) in die In einem Punkt unterschieden die Etrusker sich freilich von den Griechen und Phöniziern: sie gründeten, soweit wir wissen, keine Kolonien. Weder gibt es antike Nachrichten über derartige Koloniegründungen, noch ist außerhalb des italienischen Festlandes ein Orstname überliefert, der sich erkennbar auf eine etruskische Wurzel zurückführen ließe, noch hat die Archäologie bisher etruskische Immobilien außerhalb von Italien freigelegt. Ob die etruskische Kultur tatsächlich so "eigenständig" gewesen ist, wie die ARTE-Dokumentation behauptet, sei dahingestellt. Sehr viel wahrscheinlicher ist, dass erst der Kontakt mit griechischen und phönizischen Händlern, sowie der durch den Handel (vor allem mit den Erzen der Colline metallifere und mit massenhaft hergestellter Töpferware) ins Land strömende Reichtum der etruskischen Kultur die entscheidenden Impulse gab. Der Film selbst weist darauf hin, wenn er an etruskischen Grabanlagen "die nach griechischem Vorbild im rechten Winkel angeordneten Strassen, die orientalisch inspirierten Zierleisten, die die Gräber schmücken" rühmt. Was das eigenständig Etruskische ist, sagt er nicht. Aus all dem wird ersichtlich, dass die vom ARTE-Film behauptete Mittlerrolle der Etrusker ("Über fünfhundert Jahre fungieren sie als Mittler zwischen dem zivilisierten Orient und den 'Barbaren' des Abendlandes") nicht sonderlich bedeutsam gewesen sein kann. Denn weder die Griechen noch der zivilisierte Orient saßen geruhsam zuhause, um darauf zu warten, dass die Etrusker Kultur und Kulturgüter bei ihnen abholten, wie der Film es dem Zuschauer suggerieren will; und tatsächlich fällt die bedeutendste Mittlerrolle den Phöniziern zu: sie verbreiteten jene Konsonantenschrift, die zur Grundlage des modernen Alphabets geworden ist, sie verhalfen den Griechen nach den dunklen Jahrhunderten zu einem neuen wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung, sie waren die "Thalassokraten", die das Mittelmeer erschlossen. Zu bedenken bleibt ein Aspekt, auf den der Film nicht hinweist: frühe kulturelle Einflüsse, welcher Art sie immer gewesen sein mögen, von wem sie auch ausgingen, und wo immer sie sich geltend machten, wurden nach dem Aufbau des römischen Imperiums von römischer Kultur verdrängt und ersetzt. Ausschlaggebend ist die etruskische Kultur-Mittler-Rolle also vor allem, soweit sie in Rom wirksam wurde. Was die Römer von den Etruskern übernahmen, ist für die Entwicklung der europäischen Kultur bedeutsamer als alles, was die Etrusker selbst in die Welt hinausgetragen haben ... könnten. Übrigens: falls die Aussage "zu jener Zeit (6.Jh.v.Chr.; Anm. d. Verf.) herrschten die Etrusker über Italien und dehnten ihren Einflussbereich über den gesamten Mittelmeerraum aus" bei Ihnen den Eindruck hinterlassen hat, es habe in dieser Ära ein gesamt-italienisches, geeint-etruskisches Reich gegeben Wenig zuverlässig ist der ARTE-Film auch, wo er sich mit Lattes befaßt. Die Entstehungszeit des Hafens wird mit 500 v.Chr. angegegben: "Als das Schiff unterging, war der Hafen gerade entstanden". Kurz vorher aber wurde Was nun gar den importierten etruskischen Wein aus Caere (das, übrigens, nicht "Ka-ére", sondern "Kaire" ausgesprochen wird) betrifft, so kann man wohl ins Grübeln geraten bei G. Colonnas Behauptung: "Zu den damals begehrten Weinen zählte auch der Wein aus Caere, der als Wein für Privilegierte galt. Die Produktion war nicht groß, aber es war ein erlesener Wein". Hat der Film doch an anderer Stelle versichert: "Wein. (...) Vermutlich war er Bestandteil der etruskischen Kultur. Aber nur die Ausgrabungen können uns mehr darüber verraten, denn Informationen aus erster Hand existieren nicht". Vertrauen Sie im Zweifelsfall lieber der letzteren Aussage, die im Klartext besagt: wir wissen gar nicht, ob bei Caere überhaupt Wein angebaut wurde. Die Besorgnis der beiden Archäologen hinsichtlich des (großen) Fassungsvermögens der importierten Trinkschalen aber läßt sich durch einen Umstand relativieren, der eigentlich jedem Altertumswissenschaftler bekannt sein müßte: in der Antike wurde Wein stets mit Wasser vermischt getrunken. Seine Wirkung dürfte daher nicht wesentlich berauschender gewesen sein als die des einheimischen gallischen Bieres Schließlich: die Aussage "das Meer, auf das sich ihre Macht gründete, hat die Geheimnisse dieses in Vergessenheit geratenen Volkes lange gehütet" ist geeignet, den Eindruck zu erwecken, die etruskische Kultur sei im Meer versunken. Das ist jedoch lediglich ein weiterer Versuch, die Bedeutung des Schiffwracks zu übertreiben. Die Geheimnisse der etruskischen Kultur Vor diesem Hintergrund bleibt ein weiteres Rätsel ungelöst, nämlich die Versicherung des Films: "Sollte das Holz (des Schiffes; Anm. d. Verf.) noch erhalten sein, könnte dies einen großen Teil der etruskischen Geschichte aufklären". Nun, ein paar dendrochronologische Aufschlüsse dürften sich wohl ergeben, wenn das Schiff denn tatsächlich etruskisch sein sollte Versprochen. | ||||||||||||
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