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Woher kamen die Etrusker?



Die Lösung dieses Rätsels fand sich auf der nordägäischen Insel Lemnos, die in den vergangenen Jahrzehnten ein beliebtes Reiseziel nicht nur für Urlauber, sondern auch für Archäologen geworden ist. Ausgrabungen erbringen immer neue Belege dafür, dass eine Siedlung beim heutigen Polióchni -- auf einem Hügel oberhalb der Vroskopos-Bucht im Südosten der Insel gelegen -- während des gesamten dritten Jahrtausends vor Chr. bewohnt und ausgebaut wurde. Die Funde sind jetzt im Museum der Hauptstadt Myrina im Westen der Insel ausgestellt und lassen darauf schliessen, dass "die früheste europäische Stadt" (so wird sie jedenfalls von italienischen Archäologen genannt) dem bronzezeitlichen ägäischen Kulturkreis angehörte -- ebenso wie das besser bekannte Troja in Kleinasien. Wann die Träger der "lemnischen" Sprache aus Kleinasien (der heutigen Türkei) zuwanderten, bleibt ungewiss. Dass sie aber von dort kamen, muss man voraussetzen, wenn man die Verwandtschaft der etruskischen und lemnischen Sprache mit den anatolischen Sprachen gelten lässt (siehe dazu unten).



Zur Geschichte der Insel: Die Siedlung bei Polióchni wurde nach einer Naturkatastrophe um 2000 vor Chr. aufgegeben und nur noch sporadisch bewohnt. In mykenischer Zeit, also ca 1200 v. Chr., trug die Insel bereits den Namen, der in der Neuzeit als /limnos/ fortgesetzt wird: auf einem Täfelchen in Linear B werden Bewohnerinnen ra-ma-ni-ja genannt, woraus man die damalige Form des Inselnamens als /la:mnos/ erschliessen kann. Vielleicht war die Insel ethnisch zweigeteilt -- Griechen im Westen und "Lemnier" im Osten. Miltiades, berühmt durch die Schlacht bei Marathon, eroberte Lemnos kurz vor dem Ende des 6. Jhdts und siedelte attische Kolonisten dort an. Das Ende der politischen Unabhängigkeit dürfte auch das Ende der einheimischen Sprache bedeutet haben.

Wenig nördlich von Polióchni liegt das Dorf Kaminia, wo 1885, in eine Kirchenwand eingemauert, die sogenannte Stele von Lemnos entdeckt wurde. Die Stele wird allgemein auf eine Zeit (kurz) vor der attischen Eroberung der Insel datiert und befindet sich heute im Nationalmuseum in Athen. Sie zeigt einen Krieger mit Speer; ihre überragende wissenschaftliche und historische Bedeutung verdankt sie jedoch den beiden Inschriften in einer vor 1885 unbekannten Variante des griechischen Alphabets und einer bis dahin gleichfalls unbekannten Sprache, die den naheliegenden Namen Lemnisch erhielt.
Erstmals hatte man hier ein Zeugnis zur Hand, das es bei Anwendung neuzeitlicher sprachwissenschaftlicher Methoden ermöglicht, die Spur der Etrusker in ihre ägäisch-kleinasiatische Heimat zurück zu verfolgen. Schon bei der Publikation der beiden Inschriften wurde eine Gemeinsamkeit zwischen Lemnisch und Etruskisch deutlich: die lemnische Schrift hat ebenso wie die etruskische nur vier Vokalzeichen (a, e, i, o; bei den Etruskern sind es a, e, i, u) aus dem griechischen Mutteralphabet ausgewählt. Es folgte eine Flut von Untersuchungen über das Lemnische, die allerdings wenig Substantielles und häufig unfreiwillig komische Übersetzungen des Textes zutage förderte.

Zeichnung der Lemnos-Stele

Nach gut einhundert Jahren Forschung gilt die sprachliche Verwandtschaft zwischen Lemnisch und Etruskisch heute jedoch -- trotz des geringen Materials -- weitgehend als gesichert.
Die Lautsysteme lassen sich zwar nicht völlig zur Deckung bringen, doch fällt ins Gewicht, dass neben der schon erwähnten Vierzahl der Vokale Parallelen beim Konsonanteninventar bestehen. Es gibt zwei s-Laute (hier s und sh geschrieben), keine Zeichen für die stimmhaften Verschlusslaute b, d, g; dafür stehen nebeneinander t und th (kein behauchter Laut wie im Griechischen, sondern eher wie tj gesprochen). Evidente Übereinstimmungen begegnen im Wortschatz zwischen etruskisch (ET, Ta 1.169:) avils machs shealchlsc (wörtlich:) "mit (=-s) Jahren mit vier und (=-c) mit sechzig", und lemnisch mav shialchveis avis (wörtlich:) "vier mit (=-s) sechzig mit Jahren". Die Einheitsübersetzung, "mit 64 Jahren", hängt natürlich davon ab, welche Werte man den etruskischen Zahlwörtern zuordnet. Angesichts des extrem kleinen Wortschatzes des Lemnischen muss man sich bei eventuellen Deutungen fast ganz auf das bisher im Etruskischen Entschlüsselte verlassen. Die Deutung von mav und mach stützt sich allerdings zusätzlich darauf, dass in der (indogermanischen) anatolischen Sprache Luvisch das Wort maua "vier" heisst.



Aus der Grammatik lassen sich Konstruktionen vergleichen -- die der Linguist 'morpho-syntaktische' nennt --, wie der Ausdruck des logischen Subjekts durch -le und -si bei passivischen Vergangenheitsformen auf etr. -u, lemn. -o (zu deren Gleichsetzung siehe oben). Etr. (Vc 3.2) ...larthia-le melacina-si mul-u "(wurde) von Larth Melacina(s) geschenkt" und lemn. holaie-si qokiashia-le...evisth-o "von Holaie kokiashia (?) ge-x-t" entsprechen sich so gut, dass man für beide Sprachen eine gemeinsame Vorstufe postulieren und diese Uretruskolemnisch nennen kann.



In neuerer Zeit hat der Tübinger Emeritus Carlo de Simone wieder die Idee aufgegriffen, dass die Insel Lemnos von Etruskern aus Italien im 9. oder 8. Jh. besiedelt wurde. Dafür gibt es keine archäologischen Beweise, und auch die Sprachen sind zu unterschiedlich, um als blosse Dialekte gelten zu können.

Da weiterhin -- was hier nur kurz mit luv. maua erwähnt wurde -- das Etruskische und Lemnische auch Übereinstimmungen mit den sog. anatolischen Sprachen (in Kleinasien) zeigen, scheint es, als habe die Heimat der Etrusker im nördlichen Westkleinasien gelegen -- also ungefähr im Gebiet von Troja. Und dies könnte den historischen Kern jenes Mythos von der trojanischen Herkunft bilden, den die Römer ihrem Nachbarvolk genommen haben, um ihn für sich selbst zu beanspruchen.

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Weitere sprachliche Untersuchungen zu Etruskisch und Lemnisch finden Sie in: Dieter H. Steinbauer, Neues Handbuch des Etruskischen, Scripta Mercaturæ Verlag, St. Katharinen 1999, ISBN 3-89590-080-X, auf den Seiten 357-366 und verstreut im folgenden Text.
Ein Aufsatz des Verfassers, "Zur Grabinschrift der Larthi Cilnei aus Aritim / Arretium / Arezzo"; in: ZPE 121 (1998), 263-281
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